Der Witwer by Simenon Georges
Autor:Simenon, Georges [Simenon, Georges]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00
5
In dieser Nacht konnte er ausgezogen in seinem Bett schlafen, denn er brauchte nicht mehr zu warten.
Mademoiselle Couverts wegen hatte er nicht zu Hause gegessen, wie er es eigentlich vorgehabt hatte, denn er mußte sich ja nun wieder daran gewöhnen, seine Mahlzeiten zu bereiten und allein zu essen. Als er hinuntergehen wollte, um Lebensmittel in den Läden in der Nähe zu kaufen, hatte Pierre an die Tür geklopft. Noch in seinem Sessel sitzend, rekapitulierte er im Geist die Liste dessen, was fehlte, und beschloß, was er Madame Dorin, der Bäckersfrau, und dem Fleischer antworten würde, falls man ihn fragte.
»Komm herein, Pierre.«
Der Junge rührte sich nicht, blieb im Türrahmen stehen, die Hand auf der Klinke, und betrachtete ihn, als sei er ein anderer Mensch geworden, ein merkwürdiges Wesen. Mit einer unpersönlichen Stimme sagte er: »Mademoiselle Couvert läßt fragen, ob Sie heraufkommen würden.«
Der Junge war hinaufgestürzt. Jeantet war ihm langsamer gefolgt, und da die Tür angelehnt war, hatte er es für richtig gehalten, zu klopfen.
»Herein.«
Auch die Stimme der alten Dame klang anders als sonst. Er spürte, daß etwas Unangenehmes geschehen würde. Er merkte, daß sie geweint hatte, denn sie schnüffelte noch und hielt ein Taschentuch in der Hand. Vor ihr auf dem Tisch lag auf einer aufgeschlagenen Zeitung ihre Stahlbrille mit den dicken Gläsern.
Er hatte den Geruch dieser Wohnung nie gemocht und eigentlich auch die Schneiderin nicht. Aber Jeannes und auch Pierres wegen zeigte er das nicht.
Sie blickte ihn nicht an, hatte den Kopf der Zeitung zugewandt, absichtlich, denn sie gehörte zu jenen Menschen, die nichts ohne Absicht tun.
»Wann haben Sie es erfahren?« fragte sie.
»Heute morgen.«
»Und Sie sind nicht heraufgekommen, um es mir zu sagen?« Sie wischte sich Nase und Augen.
»Pierre mußte es mir erst aus der Zeitung vorlesen.« Der Junge stand in der Fensternische und beobachtete Jeantet mit einer schon feindlichen Neugier.
»Ich habe mich furchtbar aufgeregt. Ich habe unaufhörlich den Jungen hinuntergeschickt, damit er sich erkundige, und nun plötzlich ...«
»Verzeihen Sie. Ich habe viel zu tun gehabt. Ich war fast den ganzen Tag unterwegs ...«
»Hat man Ihnen gesagt, ob sie gelitten hat?«
Es war ihm peinlich, nicht daran gedacht zu haben. Er wußte nicht, was er darauf antworten sollte, und verteidigte sich weiter ungeschickt.
»Wissen Sie, es waren so viele Formalitäten zu erledigen.«
»Wo ist sie?«
Er warf Pierre einen Blick zu und schwieg. Hielt sie sein Schweigen für Gleichgültigkeit?
»Wann wird sie nach Hause gebracht?«
»Es ist noch nichts entschieden. Ich muß morgen vormittag den Polizeikommissar aufsuchen. Ich habe den Eltern telegrafiert.«
»Haben Sie ihren Bruder benachrichtigt?«
»Ich weiß nicht, wo er wohnt.«
»In Issy-les-Moulineaux.«
»Hat sie Ihnen das gesagt?«
»Sie hat oft von ihm gesprochen und auch von einer Schwester, die in England verheiratet ist.«
»Sie hat eine verheiratete Schwester in England?«
»O ja, und die ist gut verheiratet, mit einem schwerreichen Grundbesitzer, der auch ein großer Jäger ist.«
Er wußte nichts davon. Anstatt ihn zu bedauern, schien sie ihm seine Unwissenheit vorzuwerfen. Vielleicht war an diesen Geschichten von Bruder und Schwester nichts wahr. Auch ihm hatte sie im Anfang Geschichten erzählt.
»Sie hat weniger mit mir gesprochen als mit Ihnen«, murmelte er, weil er glaubte, ihr damit eine Freude zu machen.
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